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18/2021
 

Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

Johannes 9,1–2

„Lieber Herr Klingeberg, im Neuen Testament wird so oft davon berichtet, dass Menschen geheilt wurden, weil sie glaubten. Mein Mann war ein tief gläubiger Mensch. Warum musste er sterben? Hat er eine schwere Sünde begangen?“ Diese Frage stammt nicht aus der Zeit von vor 2000 Jahren, als Jesus über diese Erde ging, sondern sie wurde mir im Jahr 2019 gestellt – das hat mich durchaus irritiert.

Gleichzeitig vermag ich bis zu einem gewissen Grad nachzuempfinden, was gläubigen Menschen durch den Kopf geht, die diese Frage formulieren. Denn immerhin ist der biblische Befund eindeutig: „Der Tod ist der Sünde Sold …“ (Römer 6,23) Da scheint es also tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Sünde und Leid zu geben. Und diesen hatten die Jünger offenbar im Kopf, als sie den Meister fragten: „Wer hat gesündigt?“ Jesus verurteilt diese Frage nicht, sondern beantwortet sie sogar ganz unmissverständlich: „Niemand hat gesündigt!“ Und dann lenkt er ihre Gedanken in eine ungewohnte Richtung und eröffnet ihnen einen neuen Blick auf den Vater im Himmel. Nein, niemand hat gesündigt, Gott
vermag auch durch eine solche Tragödie seine Größe und Barmherzigkeit zu offenbaren. Ja, auch tief gläubige Menschen sterben, weil das Leben auf einem vom Bösen verseuchten Planeten buchstäblich lebensgefährlich ist. Und Gott hebelt das Gesetz von Ursache und Wirkung auch für seine Kinder nicht einfach aus, aber er leidet mit uns. Er leidet heftiger als ein Mensch, denn er weiß um das Ideal, was er ursprünglich für uns geplant hatte. Und manchmal können wir auch heute noch mitten im Leid ein winziges Stück seiner Herrlichkeit erahnen.

Und selbst vermeintlich hartgesottene Atheisten werden im Herzen berührt, wenn sie Trauernden begegnen, die trotz allem Leid nicht hoffnungslos sind, weil sie die biblische Auferstehungsbotschaft kennen. Aus dieser wunderbaren Gewissheit dürfen wir täglich neue Kraft schöpfen. Auf diese Weise dürfen wir die Liebe und Fürsorge Gottes erfahren und erleben, dass er schon heute die Tränen trocknet. Genau diese Erfahrung wünsche ich dir von Herzen.

Friedhelm Klingeberg



© Advent-Verlag Lüneburg


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