Sie sind hier: Andacht der Woche  

25/2020
 

Ich [Jesus] aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.

Matthäus 5,22


Jesus sagt so manches, das überzogen und befremdlich erscheint. Seine Auslegung der Zehn Gebote in der Bergpredigt gehören für mich dabei zu den absoluten Favoriten!

Dabei könnte das Leben so einfach sein. Die Zehn Gebote sind doch herrlich eindeutig: Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen und so weiter. Es gibt eine klar definierte Kante, die den sicheren Standort vom Abgrund trennt; es ist objektiv bestimmbar, ob ein Gebot gehalten oder gebrochen wurde. Zum Beispiel: Wenn mein Gegenüber nach unserem Disput noch lebt, habe ich die Gebote gehalten, ganz klar! Tatsächlich? Jesus, erklär mir doch mal, warum ich deiner Meinung nach die Ehe breche, wenn ich eine Frau auch nur ansehe ...?

Die Welt ist eben nicht einfach, schwarz oder weiß; das wahre Leben ist komplizierter. Stell dir deine Welt nicht wie die sichere Kante am Abgrund vor, sondern wie eine abschüssige Bahn. Erst geht es nur sanft abwärts, dann immer steiler. Irgendwo gibt es einen Punkt, bis zu dem du dich einigermaßen sicher bewegen kannst, aber nach dessen Überschreiten es kein Halten mehr gibt. Und diesen Punkt kannst du nicht vorher orten. Er ist für jeden Menschen und für jede Situation anders. Wenn du Schuhe mit glatten Sohlen hast, fängst du schon sehr früh an zu rutschen, mit Spikes kannst du dich auch noch weiter unten ganz gut halten. Aber es gibt keinen klar definierten Sicherheitsbereich – so ist dein Leben!

Ja, das verstehe ich. Eine Auseinandersetzung endet natürlich nicht automatisch in Mord und Totschlag, und ein Augenaufschlag verursacht noch lange keinen Ehebruch, aber – und das will Jesus damit sagen – so fängt es an! Und weil er uns kennt, weiß er auch, dass wir die Situation im Zweifelsfall nicht im Griff behalten. Deshalb will er uns vorab einfach warnen – und schützen. Getreu dem Motto „Wehret den Anfängen„.
Und noch etwas anderes folgt aus Jesu Auslegung der Gebote: Ich habe tatsächlich keine Chance, die Gebote (das Gesetz) zu halten – ich bin auf seine Gnade angewiesen!

André Zander


© Advent-Verlag Lüneburg


26/2020 | 24/2020