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29/2020
 

Und vergib uns unsere Schuld.

Matthäus 6,12

Schuld ist kein angenehmes Thema. Wir fühlen uns dabei peinlich berührt und mögen auch nicht öffentlich darüber reden. In den Millionen von Nachrichten, die jeden Tag über die modernen Medien abgesetzt werden, wird sich auch heute nichts von Schuld finden – so meine steile These. Es sind schon zig Tabus gebrochen, Schamgrenzen herabgesetzt oder sogar ganz entfernt worden. Es wird über Dinge in einer Art und Weise gesprochen, dass man sich nur noch fremdschämen kann – aber eigene Schuld einzugestehen hat absoluten Seltenheitswert.

Es ist auch nicht mein Lieblingsthema und wahrscheinlich geht es dir ähnlich. Doch Jesus holt die Schuld aus der Tabuzone heraus, platziert sie in das Vaterunser, also in das Mustergebet schlechthin, und macht sie damit zu einem prominenten Thema. Eigentlich müssten wir den Urtext genauer wiedergeben und übersetzen: „Und vergib uns unsere Schulden.„ Das hört sich für uns angenehmer an, weil wir die Pluralform direkt mit finanziellen oder materiellen Dingen in Verbindung bringen. Jesus aber bohrt tiefer: Schuld bezieht sich nicht einfach nur auf einzelne Taten, sondern darauf, dass sie unsere Beziehung zu Gott und zu anderen Menschen beschädigen und uns von ihnen entfremden. Dinge wieder in Ordnung zu bringen, fällt wirklich schwer. Dort, wo wir mitbetroffen und beteiligt sind, können solche Dinge wie Blei auf uns lasten. Beispiele aus unserem Leben gibt es genug: zum Beispiel ein großes Schweigen, wo mutige Worte angemessen wären; ein Wegschauen, um nicht noch mehr Ärger zu bekommen; eine eigennützige Entscheidung, die andere im Regen stehen lässt; oder Gleichgültigkeit, wo Aufmerksamkeit und Wertschätzung wesentlich motivierender wären. Der Schaden ist da, was nun?

Das Wohltuende an unserem Vers ist, dass er sich an Gott richtet und mit einem und beginnt. Damit wird eine Verknüpfung zur vorigen Bitte hergestellt: So, wie wir jeden Tag Brot zum Leben brauchen, brauchen wir die Vergebung Gottes zum Überleben. Sie ist die Nahrung für unsere Seele. Und: Wir wenden uns an Gott, er vergibt gerne und schenkt uns Heilung und innere Freiheit. Damit sind wir jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen, aufrecht, fair und ehrlich zu leben. Dies wird uns heute aber gelingen, weil wir uns mit dem Lesen dieser Andacht auf Gott ausrichten.

Johannes Naether


© Advent-Verlag Lüneburg


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