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35/2018
 

Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.

Daniel 9,18

Von Martin Luther stammt das Wort: „Des Christen Handwerk ist Beten.“ Damit ist für das persönliche Leben des Gläubigen alles gesagt. Nach diesem Wort ist das Gebet das Herzstück in unserer Beziehung zu Gott. Wenn dieser wichtige Teil infrage gestellt wird, schneiden wir die Verbindung zu Gott durch. Das gleicht dann einem Herzinfarkt, bei dem die Herzarterien verstopft sind. Es besteht Lebensgefahr, weil kein Lebensblut mehr fließen kann. Die Folge davon ist: Das Gewebe stirbt ab.

Wenn wir zu Gott beten, geschieht das nicht, indem wir auf unser Gutsein pochen oder unsere Gerechtigkeit hervorheben und darauf stolz sind, was wir geleistet haben. Mit anderen Worten: Die Voraussetzung zum Gebet sind nicht unser Leistungsstandard und die Menge guter Taten. Nein, wir haben vor Gott immer leere Hände, die nur durch ihn gefüllt werden können. Es ist Gottes Barmherzigkeit, auf die wir einzig vertrauen, wenn wir unsere Hände vor ihm falten.

Dietrich Bonhoeffer gibt uns einen guten Rat zur Gebetserziehung. Er schreibt: „Das Gebet in der Frühe entscheidet über den Tag. Vergeudete Zeit, derer wir uns schämen, Versuchungen, denen wir erliegen, Schwächen und Lustlosigkeit in der Arbeit, Unordnungen und Zuchtlosigkeit in unseren Gedanken und im Umgang mit anderen Menschen haben ihren Grund sehr häufig in der Vernachlässigung des morgendlichen Gebets.“ Es bedarf immerwährender Übung, die entsprechende Zeit für das Gebet am Morgen freizuhalten.

In unserem Kulturkreis ist es üblich, beim Beten die Hände zu falten. Das ist ein gutes Bild dafür, dass wir beim Beten mit unseren Händen nicht mehr agieren können und auch nicht wollen. Die Hände falten bedeutet: nicht handeln, keine Hand anlegen, keine Hände rühren, auf Gottes Handeln warten. Das Gebet verbietet jede Gewalt, jede Kränkung, jede Abwertung, jede Übervorteilung. Im Gebet lege ich meine Lasten ab, meine Not gehört Gott, ebenso meine Sorge, mein Leid und mein Kummer. Wenn ich bete, dann vergebe ich (Mk 11,25). Beten ist Einfalt und Vielfalt, Beugung und Erhebung, Loslassen und Festhalten, menschlich und göttlich zugleich.

Wilfried Ninow



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